Journalismus im postfaktischen Modus am Beispiel des Tagesspiegel

Anlässlich der Konstituierung des Abgeordnetenhauses Berlin und der Bezirksverordnetenversammlungen am 27.10.16, berichteten zahlreiche Medien umfangreich. Teils faktisch, teils tendenziös, teils #postfaktisch und das ist neu.

Ulrich Zawatka-Gerlach – seines Zeichens Redakteur des Tagesspiegel – wusste Folgendes zu berichten:

„…Die 25 Abgeordneten, von denen einer schon fraktionslos ist, wählten auch den Parlamentspräsidenten und dessen Stellvertreter nicht mit, die von SPD, CDU und Linken gestellt werden.“

Wir sind erstaunt und erschrocken zugleich. Zum einen, weil es für die Fraktion der AfD selbstverständlich ist, die Würde des Parlamentes zu wahren und allen Präsidiumsmitgliedern die Zustimmung zu erteilen. Und das ungeachtet eigener Vorbehalte, die es durchaus gibt. Zum anderen, weil die Wahl geheim ist. Stellt sich die Frage: Wie kommt Herr Zawatka-Gerlach an die Information, welcher Abgeordnete wie abgestimmt hat? Die Antwort ist so simpel wie erschreckend, er hat eine solche Information nicht, er erfindet sie einfach und wird damit dem aktuell diskutierten „postfaktischen“ Zeitalter gerecht. Böse Zungen würden sagen, der Tagesspiegel verbreitet Lügen. Aber lesen wir weiter:

„Damit zerstörte die AfD gleich zu Beginn ihres parlamentarischen Lebens in Berlin ohne jede Not den politischen Konsens.“

Welcher Konsens ist gemeint? Der Konsens gegen die Demokratie, der als Konsens gegen Rechts verbrämt wird? Fakt ist, dem parlamentarischen Konsens und der Würde des Parlamentes entzogen sich ausschließlich Grüne, Linke und SPD, als sie den Kandidaten der AfD die Zustimmung verweigerten. Noch ganz andere Tumulte, Ausfälle und Verweigerungen ereigneten sich – verursacht durch diese Parteien und ihre Sympathisanten – in den BVVen. Von „Fuck AfD“- T-Shirts auf dem Podium bis zu ungeahndeten Pöbeleien aus dem Publikum gegen AfD-Abgeordnete, war das Spektrum der Aggressionen gegen den Parlamentarismus und gegen die Demokratie breit gefächert.

Zurück aber zu Ulrich Zawatka-Gerlach. Der sah sich veranlasst, gegen oben beschriebene Fakten folgenden Satz nachzuschieben:

„Offenbar will die AfD von Anfang an ihren Status als besonders oppositionelle Opposition demonstrieren. Obwohl die Partei sonst gern betont, konstruktive Politik machen zu wollen.“

Dazu ist oben alles gesagt. Also schauen wir nach vorn, auch im Artikel. Dort findet sich Folgendes:

„Die AfD-Fraktion sah sich unter fadenscheinigem Vorwand nicht in der Lage, der parlamentarischen Geschäftsordnung zuzustimmen, die im Vorfeld zwischen den politischen Kräften ausgehandelt wurde.“

Welche „politischen Kräfte“ sind gemeint? Die AfD war nicht beteiligt an diesem Handel. Ich versuche es so einfach wie möglich zu erläutern, weil Demokratie kann anstrengend sein und Fakten können auch Redakteure überfordern. Die Rechtsprechung gibt vor, dass Ausschüsse das Parlament spiegeln sollen. Das heißt, Regeln die in Plenarsitzungen gelten, sollten auch in den Ausschüssen Geltung haben. Im Parlament gilt: 20% der Mitglieder oder eine Fraktion sind antragsberechtigt. Für die aussichtsreiche Platzierung auf einer Ausschusstagesordnung wurden 25% und keine weitere Regel festgelegt. Dies ist angesichts des Konsens gegen die Demokratie, eindeutig eine Lex AfD. Denn sie hat keine 25%, bräuchte also eine zweite Fraktion zur Unterstützung. Die werden sich, dass beweist dieser Konsens, der AfD in entscheidenden Fragen verweigern.

Der „Minderheitenschutz“ geht genau so weit, dass die AfD von diesem Schutz ausgenommen wird. Ein potemkinsches Dorf generös verkauft und von Ulrich Zawatka-Gerlach nicht verstanden.